Neben Planungs-, Technik-, Rechts- und Finanzfragen, gibt es eine weitere große Herausforderung bei der Umsetzung von Industrie- und Infrastrukturprojekten: das Einbeziehen der Bürger*innen. Auf der Ebene von Ländern und Kommunen heißt das, Großprojekte nicht im Nachhinein durch Überzeugungsarbeit zu rechtfertigen, sondern bereits im Vorfeld durch Bedarfsnachfrage und Bürger*innenbeteiligung wertvolle Zustimmung und Mitwirkung zu erreichen.
Der neue Weg der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren ist gesetzlich seit 2013 im § 25 des Verwaltungsverfahrengesetzes (VwVfG) verankert, hatte bisher aber keinen bindenden Charakter. Das könnte sich bald ändern: Schon 2023 wurde der "Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung zwischen Bund und Ländern" beschlossen und ein Gesetzesentwurf zur Stärkung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung liegt vor und soll bald umgesetzt werden.
Doch der Druck von Seiten des Gesetzgebers ist vielerorts gar nicht zwingend notwendig. Viele Auftraggeber haben bereits erkannt, dass es vorteilhaft ist, das Wohlwollen der Öffentlichkeit im Vorfeld zu gewinnen. Beigetragen haben dürfte dazu auch die VDI-MT-Richtlinie 7000 – beziehungsweise deren Vorgängerin, VDI 7000 -, in der die Grundsätze und vier Phasen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung strukturiert dargelegt sind. Die Richtlinie war Arbeitsgrundlage bei etlichen Projekten, von denen wir hier einige vorstellen:
Bisher fahren bis zu 2,5 Millionen LKWs pro Jahr über diesen meistbefahrenen Alpenübergang. Die neue Zugtrasse des Nordzulaufs soll die Autobahn mit bis zu 400 Zügen pro Tag entlasten. Doch den Vorteilen für Logistik und Umweltschutz stehen erhebliche Bedenken entgegen: Die Sorge um Wasserschutzgebiete und die Angst vor Zerstörung von Tier- und Pflanzenwelt wie auch landwirtschaftlichen Flächen ist erheblich.
Die DB Netz AG und das Bundesinnenministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur arbeiten mit Bürgergremien, Dialogforen und Online-Beteiligung für eine bessere Kooperation – und obwohl die Anstrengungen anhalten, geht man doch gemeinsame Schritte nach vorne. Das Projekt diente und dient damit auch als Lernfeld für die Weiterentwicklung der VDI-MT 7000.
Der Europa-Park Rust war bereits riesig, sollte aber ab 2014 auf weiteren 40 Hektar um einen Wasserpark erweitert werden. Dies gelang durch frühzeitige Einbindung der umliegenden Gemeinden in Form von Bürgerforen, in denen noch vor der Planungsphase Ideen und Vorschläge, aber auch Bedenken und Widerstände gesammelt und diese in den weiteren Abschnitten ernst genommen wurden. Gearbeitet wurde hier konsequent nach der damals noch relativ jungen VDI 7000. 2019 wurde die Erweiterung erfolgreich abgeschlossen, weitere Ausbauten folgten nach dem gleichen Schema. Der Park erfreut sich, auch dank konsequenter Bürgerbeteiligung, einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung.
Kaum ein Großprojekt erhitzt die Gemüter so massiv wie ein Windpark: Der Kampf gegen die optischen und ökologischen Beeinträchtigungen durch die aktuell bis zu 240 Meter hohen Räder wird erbittert geführt und bedeutet nicht selten massive Verzögerungen oder sogar das Projektende. Nordrhein-Westfalen hat die Inhalte der VDI 7000 in den landeseigenen Leitfaden zur Bürgerbeteiligung bei Windenergievorhaben übertragen, das Phasenmodell wurde in die kommunalen Prozessvorgaben integriert, die frühzeitige Bürgerbeteiligung dadurch gestärkt und strukturiert. Mit vollem Erfolg: 2024 war das Bundesland deutschlandweit führend im Zubau neuer Anlagen.
Bürgerbeteiligung, Lieferkettentransparenz, erneuerbare Energien, Compliance-Management: die Zukunft, die wir uns gestalten, ist fair und dadurch nachhaltig. Wir erschaffen eine Welt, in der Respekt, Kooperation und Verstehen gesetzlich verankert sind und das Zusammenleben auf der Basis von klugen und vernünftigen Normen und Richtlinien geregelt wird. Das Umdenken hat eingesetzt – und es führt nachweislich zum Erfolg.